Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen schreitet unaufhaltsam voran. Angetrieben durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), regulatorische Anforderungen und den Bedarf an effizienteren Prozessen, stehen Krankenhäuser vor der Herausforderung, komplexe Softwarelösungen zu implementieren. Diese Implementierungen sind jedoch weit mehr als reine IT-Projekte – sie stellen tiefgreifende organisatorische Veränderungsprozesse dar.
Die Realität zeigt: Viele Softwareprojekte im Krankenhausumfeld scheitern nicht an der Technologie selbst, sondern an der Art und Weise ihrer Einführung. Bereits bei der Ausschreibung werden entscheidende Weichen gestellt, die über Erfolg oder Misserfolg bestimmen. Selbst mit detaillierten Leistungsverzeichnissen lassen sich nicht alle Herausforderungen antizipieren, da diese von verschiedenen Stakeholdern unterschiedlich interpretiert werden können.
Dieser Praxisleitfaden beleuchtet die häufigsten Fehler bei der Ausschreibung und Implementierung von Krankenhaussoftware und bietet einen strukturierten Ansatz, um diese zu vermeiden. Anhand konkreter Beispiele und Erfahrungen aus der Praxis erhalten Entscheidungsträger und Projektverantwortliche wertvolle Handlungsempfehlungen für ihre Digitalisierungsvorhaben.
Einer der häufigsten Fehler bei Ausschreibungen ist die übermäßige Verwendung von MUSS-Kriterien. Viele Krankenhäuser neigen dazu, ihre Anforderungskataloge mit obligatorischen Funktionalitäten zu überfrachten, die alle potenziellen Anbieter erfüllen müssen. Dies führt zu mehreren Problemen:
Praxistipp: Beschränke MUSS-Kriterien auf essentielle Funktionalitäten, die für die Kernprozesse unabdingbar sind. Definiere weitere Anforderungen als SOLL- oder KANN-Kriterien und gewichte diese entsprechend ihrer Bedeutung.
Digitalisierungsprojekte in Krankenhäusern leiden häufig unter einem unzureichend definierten Projektumfang. Ohne klare Abgrenzung wachsen die Anforderungen während der Projektlaufzeit ständig weiter ("Scope Creep"), was zu Verzögerungen, Budgetüberschreitungen und letztendlich zur Frustration aller Beteiligten führt.
Praxistipp: Definiere von Beginn an präzise, welche Abteilungen, Prozesse und Funktionsbereiche vom Projekt umfasst sind. Lege ebenso fest, was explizit nicht zum Projektumfang gehört. Ein klar definierter, realistischer Scope ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Viele Krankenhäuser veröffentlichen Ausschreibungen, ohne zuvor mit potentiellen Anbietern gesprochen zu haben. Sie vertrauen vollständig auf interne Anforderungsanalysen, ohne das Marktwissen der Anbieter zu nutzen.
Praxistipp: Führe vor der offiziellen Ausschreibung strukturierte Vorgespräche mit relevanten Anbietern. Diese Markterkundungsgespräche helfen, realistische Anforderungen zu formulieren und geben wertvolle Einblicke in technologische Möglichkeiten und Grenzen. Beachte dabei die vergaberechtlichen Vorgaben, um die Gleichbehandlung aller potenziellen Bieter zu gewährleisten.
Ohne ausreichende Markterkundung besteht die Gefahr, dass Ausschreibungen an der Markrealität vorbeigehen. Krankenhäuser definieren manchmal Anforderungen, die mit verfügbaren Standardlösungen nicht oder nur durch kostspielige Individualentwicklungen umgesetzt werden können.
Praxistipp: Investiere Zeit in eine systematische Markterkundung. Besuche Fachmessen, tausche dich mit Kollegen aus anderen Einrichtungen aus und prüfe, welche Standardlösungen bereits erfolgreich im Einsatz sind. Benchmarking mit vergleichbaren Einrichtungen kann wertvolle Erkenntnisse liefern. Ziehe unbedingt Vertreter der beteiligten klinischen Einrichtungen beratend hinzu, um die Verbindung zwischen IT und Fachbereich zu sichern und Akzeptanz zu fördern.
Ein weiterer kritischer Fehler ist die mangelnde Orientierung an der Patient Journey – dem Kernprozess im Krankenhaus. Viele IT-Projekte fokussieren sich zu stark auf isolierte Funktionalitäten oder administrative Prozesse, ohne den Gesamtablauf der Patientenversorgung zu berücksichtigen.
Praxistipp: Stelle die Patient Journey ins Zentrum deiner Anforderungsanalyse. Betrachte, wie Software die Versorgungsprozesse von der Aufnahme bis zur Entlassung unterstützen kann. Berücksichtige dabei die Perspektiven aller beteiligten Berufsgruppen und deren Interaktion im Behandlungsprozess. Eine am Patientenpfad orientierte Software führt zu höherer Akzeptanz bei den klinischen Anwendern und letztlich zu besseren Behandlungsergebnissen.
Selbst ein detailliertes Leistungsverzeichnis bietet keine Garantie für ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten. Was für den Ausschreibenden eindeutig erscheint, kann vom Anbieter völlig anders interpretiert werden.
Praxistipp: Formuliere Anforderungen so konkret wie möglich und ergänze diese durch Anwendungsfälle (Use Cases) oder Prozessbeschreibungen. Nutze Bieterrunden und Q&A-Sessions, um Missverständnisse frühzeitig zu klären. Dokumentiere diese Klärungen schriftlich als Teil der Vergabeunterlagen.
In der zunehmend vernetzten Gesundheitslandschaft wird ein weiterer Fehler immer gravierender: die unzureichende Berücksichtigung von Interoperabilitätsanforderungen. Isolierte Softwarelösungen, die nicht oder nur eingeschränkt mit anderen Systemen kommunizieren können, führen zu Datensilos und ineffizienten Arbeitsabläufen.
Praxistipp: Definiere klare Anforderungen an Standardschnittstellen und Interoperabilitätsprotokolle (wie FHIR, HL7, DICOM). Überprüfe, ob potenzielle Lösungen offene APIs anbieten und wie sie sich in die bestehende und zukünftige Systemlandschaft integrieren lassen. Der Trend geht eindeutig zu interoperablen Plattformlösungen statt isolierten Einzelsystemen – berücksichtige diesen Aspekt in deiner Ausschreibung.
Die Implementierung von Software im Krankenhaus erfordert ein professionelles Projektmanagement, das weit über technische Aspekte hinausgeht. Ein erfahrener Projektmanager muss nicht nur IT-Prozesse verstehen, sondern auch die klinischen Abläufe und organisatorischen Besonderheiten des Krankenhauses.
Die Komplexität von Krankenhausprojekten resultiert aus mehreren Faktoren:
Ein effektives Projektmanagement sollte folgende Elemente umfassen:
Basierend auf Best Practices und Erfahrungen aus erfolgreichen Implementierungsprojekten lässt sich der folgende Leitfaden ableiten, der in fünf Phasen gegliedert ist:
Ziel: Schaffung einer soliden Grundlage für das Projekt durch präzise Definition der Anforderungen und Ziele.
Aktivitäten:
Erfolgsfaktoren:
Ziel: Auswahl des am besten geeigneten Anbieters und Gestaltung tragfähiger Vertragsbeziehungen.
Aktivitäten:
Erfolgsfaktoren:
Ziel: Technische Implementierung der Software unter Berücksichtigung der spezifischen Krankenhausanforderungen.
Aktivitäten:
Erfolgsfaktoren:
Ziel: Sicherstellung der technischen Funktionsfähigkeit und Vorbereitung der Anwender auf die neue Software.
Aktivitäten:
Erfolgsfaktoren:
Ziel: Reibungsloser Übergang in den Produktivbetrieb und nachhaltige Nutzung der Software.
Aktivitäten:
Erfolgsfaktoren:
Basierend auf Erfahrungen aus zahlreichen Projekten lassen sich folgende übergreifende Erfolgsfaktoren identifizieren:
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Softwareimplementierung bietet das TUM Klinikum rechts der Isar mit der Einführung von ID DIACOS SPEZIAL, einer spezialisierten OPS-Dokumentationslösung für Psychiatrie, Psychosomatik und Palliativmedizin.
Ausgangssituation:
Das Universitätsklinikum stand vor mehreren Herausforderungen in seinen Dokumentationsprozessen:
Implementierungsansatz:
Das Projekt wurde in fünf klar definierte Phasen gegliedert:
Die vollständige Fallstudie mit detaillierten Einblicken in das Projekt können Sie hier herunterladen: Link zur Fallstudie
Die erfolgreiche Implementierung von Software im Krankenhaus erfordert weit mehr als technisches Know-how. Sie verlangt ein tiefes Verständnis klinischer Prozesse, ein professionelles Projektmanagement und ein durchdachtes Change Management.
Die häufigsten Fehler passieren bereits in der Ausschreibungsphase: zu viele MUSS-Kriterien, unzureichende Eingrenzung des Projektumfangs, fehlende Vorgespräche und mangelnde Markterkundung. Selbst mit detaillierten Leistungsverzeichnissen kann es zu unterschiedlichen Interpretationen kommen, die später zu Konflikten führen.
Der vorgestellte Phasenansatz – von der Konzeptentwicklung über Beschaffung, Installation, Schulung bis hin zum Go-Live – bietet eine strukturierte Methodik, die Risiken minimiert und den Projekterfolg wahrscheinlicher macht. Die Fallstudie des TUM Klinikums rechts der Isar zeigt, dass mit diesem Ansatz auch komplexe Softwareimplementierungen erfolgreich umgesetzt werden können.
Zentrale Erfolgsfaktoren sind dabei starke Führungsunterstützung, funktionsübergreifende Teams, Nutzerfreundlichkeit, transparente Kommunikation und ein umfassendes Schulungskonzept. Mit der zunehmenden Vernetzung des Gesundheitswesens gewinnt zudem die Interoperabilität von Systemen immer mehr an Bedeutung.
Der anhaltende Fachkräftemangel sowohl im IT-Bereich als auch bei klinischem Personal stellt eine zusätzliche Herausforderung dar, die bei der Projektplanung und -durchführung unbedingt berücksichtigt werden muss. Softwarelösungen sollten daher nicht nur leistungsfähig, sondern auch intuitiv bedienbar sein und den klinischen Alltag tatsächlich erleichtern.
Mit einem ganzheitlichen Ansatz kannst du die Chancen der Digitalisierung nutzen und nachhaltige Verbesserungen in der Patientenversorgung, der Mitarbeiterzufriedenheit und der wirtschaftlichen Effizienz in deinem Krankenhaus erzielen.
Dieser Kurs ist ideal für Fach- und Führungskräfte im Gesundheitswesen: Sowohl erfahrene Klinikmanager, die ihr Wissen auffrischen wollen als auch Ärzte und Pflegekräfte, die eine Managementrolle übernehmen möchten, profitieren von den Inhalten des Onlinekurses.
Dr. Alexander Zuber, Kursleiter der Klinikmanagement Akademie, bringt über ein Jahrzehnt Erfahrung in der komplexen Welt des deutschen Krankenhausmanagements mit. Er versteht es, die vielschichtigen Zusammenhänge dieser stark regulierten Branche verständlich und praxisnah zu vermitteln.
Seine Leidenschaft gilt dem Unterrichten – insbesondere mit modernen E-Learning-Technologien, die es den Teilnehmenden ermöglichen, individuell und im eigenen Tempo zu lernen. Mit seiner Expertise und Begeisterung schafft er eine inspirierende Lernatmosphäre, die Fachwissen greifbar macht.
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